PSYCHIATRIE IN SACHSEN - DAS JAHR 1990

Angehörige und Freunde psychisch Kranker e.V.

Gespräch mit Gisela Oehmischen zur Gründung des Verbandes der Angehörigen und Freunde psychisch Kranker e.V. in Dresden. 

Mein Name ist Gisela Oehmichen. Unser Sohn wurde 1985 mit der Diagnose »Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis« mit 17 Jahren das erste Mal in eine Klinik eingewiesen.

Frau Oehmischen, was hat Sie zur Gründung des »Verbandes der Angehörigen und Freunde psychisch Kranker e.V.« im April 1990 bewogen? Wie war die Situation der Angehörigen in der DDR? Und was änderte sich 1989/90?

G.Ö.: Zu der Situation der Angehörigen in der DDR bzw. in Dresden kann ich nur von meinen eigenen Erfahrungen berichten.
Es gab keine Psychoedukation für Angehörige, keine Selbsthilfegruppen. Es gab kein Informationsmaterial. Wenn man Glück hatte, sprachen die Klinikärzte und/oder die Ärzte der Poliklinik mit den Angehörigen, erklärten die Krankheit, gaben Tipps zum Verhalten.

Wer waren die Initiatoren der Vereinsgründung und wie organisierte sich Ihr Verband?

G.Ö.: In Dresden wurden seit 1985 von zwei Mitarbeitern des Diakonischen Werkes – Stadtmission Dresden e.V. monatliche Gruppentreffen für psychisch erkrankte Menschen angeboten. Diese Mitarbeiter hatten lockeren Kontakt zum Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. Das Buch »Freispruch der Familie« von Klaus Dörner hatten sie gelesen. Ihnen wurde bewusst, dass die Angehörigen ebenfalls Hilfe brauchen.
Im Herbst 1989 luden die beiden Mitarbeiter die Angehörigen der Betroffenen ihrer Gruppe zu monatlichen Gesprächsabenden ein.
Drei Ärztinnen einer Dresdener Praxisgemeinschaft waren zu diesem Zeitpunkt schon der gleichen Ansicht, dass auch den Angehörigen Austausch und Wissen angeboten werden muss. In ihren Praxisräumen kam es zu den ersten Angehörigentreffen. Zum Jahresende 1989/90 beendeten die Ärztinnen diese Gruppenangebote. Die Umstrukturierung der Polikliniken stand für sie zu der Zeit im Vordergrund.
Die beiden Mitarbeiter der Stadtmission Dresden wollten sofort nach dem Systemwechsel mithelfen, die Psychiatrielandschaft in den neuen Bundesländern zu verändern/zu verbessern. Ihnen war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon klar, dass man zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks den Status eines Vereins braucht. Am 26.04.1990 erfolgte die Vereinsgründung.

Welche Kontakte hatten Sie in der Gründungsphase zu anderen Angehörigen-Vereinen und Verbänden? Hatten Sie Vorbilder?

G. Ö.: Der Dresdner Verein Angehörige und Freunde psychisch Kranker e.V. war der erste Angehörigenverein, der in den neuen Bundesländern gegründet wurde. Deshalb konnten wir uns nur an den Organisationsformen und der Arbeit der Vereine in den alten Bundesländern orientieren. Die Landesverbände von Niedersachsen und Baden-Württemberg wurden unsere »Paten«. Sie schenkten uns eine Schreibmaschine und schickten Informationsmaterial. Sie standen uns mit Rat und Tat zur Seite. Es kam zu gegenseitigen Besuchen der Angehörigengruppen.

Was waren die wichtigsten Ziele der Vereinsgründung und welche ersten Schritte sind Sie 1990 gegangen?

G.Ö.: Unsere erste Aufgabe war die Öffentlichkeitsarbeit. Mit Flyern, Schautafeln machten wir uns in Dresden bekannt. Fördergelder wurden beantragt. Zu den Treffen der Angehörigengruppen luden wir Personen aus der Politik und Ärzte ein.
  

Wie waren die Reaktionen der Profis und der Betroffenen auf die Vereinsgründung?

G.Ö.: Wir mussten unsere Rolle erst lernen. Wir hatten keine Erfahrung mit Präsentation, waren es nicht gewohnt, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Doch die Zeitungen wurden auf uns aufmerksam. Sie schrieben über den Verein. Wir bekamen Spenden von Dresdner Firmen. Bei der Erarbeitung des Ersten Sächsischen Landespsychiatrieplanes vom Jahr 1993 waren wir dabei.
Die Betroffenen reagierten neutral auf den Angehörigenverein.

Welche Bilanz ziehen Sie im dreißigsten Jahr des Bestehens Ihres Vereins?

G.Ö.: In den 30 Jahren bildete sich ein Netzwerk der Selbsthilfebewegung in Sachsen. Der Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. wurde im Jahr 1995 gegründet.

Was sind die aktuellen Schwerpunkte Ihrer Vereinsarbeit?

G.Ö.: Einer unserer Schwerpunkte ist weiterhin die Organisation von Informationsveranstaltungen in Dresden. Infobriefe mit den aktuellen Angeboten des Vereins werden regelmäßig an Angehörige und psychiatrische Einrichtungen verschickt.
Auf der Website des Vereins Angehörige und Freunde psychisch Kranker e.V. finden Angehörige schnell wichtige Adressen, Termine und Hilfen. Angehörigengruppen und die Einzelberatung finden regelmäßig statt.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vernetzung mit anderen Organisationen und Gremien. Mitglieder des Vereins arbeiten im Vorstand des Landesverbandes mit.
Ein Mitglied unseres Vereins hat seit Jahren Sitz und Stimme in der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) und bereitet in der Untergruppe »Öffentlichkeitsarbeit« u.a. die jährlichen „Aktionstage der seelischen Gesundheit“ mit vor.
In dem Organisationsteam zum »Dresdner Trialog« und in der Gruppe »Pro Psychiatrie Qualität (PPQ)« des PTV arbeiten Angehörige mit.
   

Dresden, den 10.01.2021

Das Interview mit Frau Oehmischen wurde per Mail geführt.




Der Verein Angehörige und Freunde psychisch Kranker e.V., Dresden macht sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Familien und ihrer erkrankten Familienmitglieder stark und will die Selbsthilfe der Familien psychisch Kranker in Angehörigengruppen stärken und sich für die Gleichstellung psychisch Erkrankter mit anderen (somatisch) Erkrankten, sowie den Abbau von Diskriminierungen und Vorurteilen, und eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einer psychischen Erkrankung in der Gesellschaft einsetzen.




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