PSYCHIATRIE IN SACHSEN - DAS JAHR 1990

Untersuchungskommissionen zur Nervenklinik Waldheim und dem politischen Missbrauch der Psychiatrie

Nach den im Magazin Stern erhobenen Vorwürfen wurde von DDR-Gesundheitsminister Kleditzsch eine Sonderkommission zur Prüfung der von der Illustrierten »Stern« erhobenen Vorwürfe und Anschuldigungen gegen die Nervenklinik Waldheim bzw. Dr. Poppe bestellt. Die Kommission, in der DDR-Psychiater (Prof. E. Lange, Dresden; Dr. S. Schirmer, Brandenburg; Dr. M. Seidel, Berlin) sowie Prof. Rasch, Westberlin und die Psychiaterin und Bürgerrechtlerin Sonja Schröter mitarbeiteten, legte am 2. Juli einen mündlichen und am 17. Juli 1990 einen schriftlichen Bericht vor.
Der Abschlussbericht der Sonderkommission bestätigte die Angaben des Stern in wesentlichen Punkten (katastrophale Lebens- und Betreuungsbedingungen, körperliche Misshandlungen der Patienten durch das Pflegepersonal) und wies in einem Fall einen politischen Missbrauch der Psychiatrie nach.
Am 6. Juli 1990 wurde auf Antrag aller Fraktionen ein Parlamentarischer Sonderausschuss zur Untersuchung der Vorgänge um die psychiatrische Klinik in Waldheim sowie ähnlich gelagerte Fälle eingerichtet. Dieser Sonderausschuss erneuerte in seinem Bericht auf der 37. Tagung der Volkskammer der DDR am 28. September die Ergebnisse der Sonderkommission und wies außerdem nach, dass Dr. Poppe inoffizieller Mitarbeiter der MfS-Kreisdienststelle Döbeln gewesen war.
Auf einer ihrer letzten Sitzungen forderte die Volkskammer den Bundestag auf, die Arbeit der Untersuchungskommission fortzusetzen und eine Enquete-Kommission zur Lage der Psychiatrie in den Ländern der ehemaligen DDR einzusetzen.

Im Oktober 1990 wurde in Leipzig von der Stadtverordnetenversammlung ein Zeitweiliger Untersuchungsausschuss Psychiatriemissbrauch eingerichtet. Der Ausschuss sollte Fälle von missbräuchlich angewendeten psychiatrischen Behandlungsmethoden an Leipziger Psychiatrischen Kliniken oder an Leipziger Psychiatrie-Patienten ermitteln.
In Sachsen wurde auf Vorschlag des Ministers für Soziales, Gesundheit und Familie, Dr. Hans Geisler, vom Kabinett am 11. Dezember 1990 die Bildung einer Untersuchungskommission »Krankenhaus für Psychiatrie Waldheim« beschlossen, die sich aus Juristen und Psychiatern aus den alten Bundesländern und Angeordneten des sächsischen Landtags zusammensetzte und am 5. November 1992 ihren Abschlussbericht vorlegte.
  

Am 6. März beschloss der Sächsische Landtag die Bildung einer weiteren Kommission zur Untersuchung des Missbrauchs der Psychiatrie im sächsischen Gebiet der ehemaligen DDR. Die von 1993 bis 1996 tätige Kommission legte 1997 ihren Bericht vor. Diese Kommission verfügte über eine eigene Geschäftsstelle und umfasste neben dem Vorsitzenden, Eberhard Uhlig, Leitender Oberstaatsanwalt a.D. aus Hechlingen, Vertreter des Landtags, der Ministerien, Vertreter von Betroffenenorganisationen, der Ärztekammer, Psychiaterinnen und Psychiater aus Ost und West und Juristen. Es wurden 216 Anträge und Hinweise von Betroffenen bearbeitet und forensisch-psychiatrische Gutachten und MfS-Unterlagen untersucht.
Im Ergebnis stellte diese Kommission fest, dass es einen systematischen Missbrauch der Psychiatrie gegenüber politischen Gegnern, Andersdenkenden und Missliebigen nicht gegeben hat. Allerdings wurden Einzelfälle dokumentiert, bei denen es im Rahmen von Verfahren wegen politischer Delikte zu forensisch-psychiatrischen Gefälligkeitsgutachten und ungerechtfertigten Psychiatrisierungen gekommen war. Auch die Anweisung, zu besonderen Ereignissen Psychiatriepatienten Ausgeh- und Urlaubsverbote zu erteilen, wurde als politische Einflussnahme gewertet. Außerdem hatten Psychiater im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit Kollegen bespitzelt und die ärztliche Schweigepflicht verletzt, indem sie Informationen über Patienten weitergaben.


Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie (1997) Kommission zur Untersuchung von Mißbrauch der Psychiatrie im sächsischen Gebiet der ehemaligen DDR. Abschlussbericht 


© Copyright 2020, Sächsisches Psychiatriemuseum