PSYCHIATRIE IN SACHSEN - DAS JAHR 1990

Psychiatrie in der DDR und in Sachsen im Jahr 1990

Einen Überblick zur Situation der Psychiatrie in der DDR und Sachsen im Jahr 1990 ermöglichte das Gutachten Zur Lage der Psychiatrie in der ehemaligen DDR, die von Experten aus Ost und West seit November 1990 auf der Basis von Fragebögen und Besuchen in ausgewählten Einrichtungen erstellt und im Mai 1991 vorgelegt wurde.
In dem Bericht wird eine Dominanz der psychiatrischen Krankenhäuser festgehalten. Auch die wichtigen Reformansätze, die sich in den Rodewischer Thesen (1963) und den Brandenburger Thesen zur therapeutischen Gemeinschaft (1974) widerspiegeln, hatten die Krankenhäuser als Zentrum der Versorgung nicht in Frage gestellt. Beim Verständnis psychischer Erkrankungen überwog ein biologistischer Ansatz, verbunden mit der Ausblendung der psychosozialen Dimension psychischer Erkrankungen.

Stationäre Versorgung

In Sachsen waren die 7083 Psychiatrie-Betten zu 87% in acht psychiatrischen Großkrankenhäusern konzentriert. (Das größte psychiatrische Krankenhaus der DDR im sächsischen Arnsdorf verfügte über mehr als 1300 Betten.) Die Mehrzahl der Gebäude in den Krankenhäusern war Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet worden und befand sich in einem schlechten baulichen Zustand. Auch die personelle Ausstattung und Bezahlung der Mitarbeitenden war im Vergleich zur Bundesrepublik niedrig.
Die teilweise katastrophalen und menschenunwürdigen Bedingungen zeigten sich in besonderer Weise in den Langzeitbereichen der Großkrankenhäuser. Weit mehr als die Hälfte der Betten war mit Menschen belegt, die keiner Krankenhausversorgung bedurften und daher in diesen Einrichtungen fehlplaziert waren. Es gab Stationen mit bis zu 60 Plätzen und Säle mit mehr als 20 Betten. Charakteristisch für diese Langzeitbereiche war die Durchmischung von chronisch psychisch Kranken und behinderten Menschen.

Ambulante Versorgung

Das Zentrum der ambulanten psychiatrischen Versorgung bildeten die Polikliniken mit multiprofessionell besetzten Behandlungszentren für die jeweilige Region. Bereits 1990 zeigte sich, dass sich diese ambulanten Strukturen aufgrund der durch die Wiedervereinigung geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen auflösten. In Leipzig konnte das Mitte der 1970er Jahre unter Leitung von Klaus Weise (Klinik für Psychiatrie der KMU Leipzig) entwickelte sektorisierte, gemeindepsychiatrisch orientierte Versorgungssystem mit der Bildung des Verbund Gemeindenahe Psychiatrie gesichert werden.

Komplementäre Versorgung

Durch das gestufte Rehabilitationssystem in der DDR bestand eine hohe Zahl »geschützter Arbeitsplätze« in den Betrieben, die eine berufliche und gesellschaftliche Integration ermöglichten. Viele dieser Arbeitsplätze fielen mit dem Ende des DDR-Wirtschaftssystems weg.
Qualifizierte Wohnangebote bestanden in der DDR kaum. Die Unterbringung von chronisch psychisch Kranken in Pflege- und Altenheimen war nicht akzeptabel.
Ein Defizit bestand in der gemeindepsychiatrischen Versorgung durch die Nichtexistenz von selbständigen Vereinen und Initiativen.

Fehlende Öffentlichkeit

Ein Grund für die teilweise unzulänglichen Bedingungen in der Psychiatrie war das Fehlen einer demokratischen Öffentlichkeit, die in der BRD Anfang der 70er Jahre einen wichtigen Beitrag zur Reform der Psychiatrie geleistet hatte.   



Dyrk Zedlick über die Leipziger Universitätspsychiatrie und Leipzig als Reforminsel der Psychiatrie in der DDR


Rosi Haase über ihre Anfänge in der Psychiatrie in Leipzig-Dösen Mitte der 1980er Jahre und die Veränderungen im Jahr 1990


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